PROJEKTE – Neues Museum Schievelbeinfries
Chaos und Ordnung sind das Thema des von Hermann Schievelbein geschaffenen Figurenreliefs im Griechischen Hof des Neuen Museums. Dargestellt ist der Untergang Pompejis durch die übermächtigen Kräfte der Natur. Die Stadt war der Inbegriff der durch den Menschen geschaffenen Ordnung in der antiken Welt; an ihr ließ sich der Einbruch von Chaos und Zerstörung in die hoch organisierte menschliche Lebenswelt eindrücklich künstlerisch verdeutlichen. Als kompositorisches Zentrum zeigt die schmale Stirnwand in einer mythologischen Szene den Ausbruch des Vesuvs auf Geheiß des Pluto, daneben Giganten, die Vernichtung bringen, entfesselte Winde und schließlich Luna und Helios, die ihr Licht verbergen. Auf den beiden Längswänden ist der Untergang der blühenden Metropole in realistischen Details dargestellt, mit einstürzenden Gebäuden, erschlagenen Menschen, Szenen voller Panik, daran anschließender ruhigerer Flucht jenseits der Stadtmauern und endlich die Rettung der Überlebenden am Meer und auf dem Lande, personifiziert durch Poseidon und Pomona. Bis 1851 hat Hermann Schievelbein mit den Bildhauern seiner Werkstatt an der Ausführung des 65 m langen und 1,7 m hohen Figurenfrieses an der die Ost-, Nord- und Westwand des Griechischen Hofes gearbeitet. Das in mehrschichtiger Antragetechnik mit einem Gips-Kalk-Stuck ausgeführte Werk erhielt nach anfänglicher Materialsichtigkeit später eine cremefarbene Bleiweißfassung, die die Anmutung eines Marmorwerkes evozierte.
Durch die Auswirkungen von Krieg und Nachkriegsjahrzehnten wurde die schon von Schievelbeins Zeitgenossen hochgelobte Komposition bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Bombardements des Jahres 1945 hatten zu weitreichenden Zerstörungen des Neuen Museums geführt, und ein Treffer in der Ostwand des Griechischen Hofs schlug ein mehr als 5 m breites Loch in den Schievelbeinfries. Infolge der Kriegseinwirkungen kam es zu tief gehenden Schädigungen der Substanz und dem Absturz von Figurenteilen, wie Köpfen, Armen und Beinen. Risse und Gefügelockerungen im Mauerwerk des Gebäudes übertrugen sich unmittelbar auch auf den Stuckfries. In allen ungeschützten und exponierten Bereichen traten zum Teil tiefe Auswaschungen mit weitgehenden Formverlusten auf. Durch eindringendes Regenwasser in Verbindung mit häufigen Frost-Tau-Wechseln lösten sich einzelne Antragschichten mit originalen Oberflächen ab und ließen Partien stark entstellter bildhauerischer Gestaltungen zurück. Die zahlreichen Splitterbrüche drohten erhaltene Reliefdarstellungen zu zerstören. Die von 1996 bis 2008 währende Konservierung und Konsolidierung des Frieses, begleitet von einem kontinuierlichen, fachlichen Ringen um eine angemessene und schlüssige Vorgehensweise, hat den Versuch unternommen, unter Wahrung der Authentizität und Geschichtlichkeit des Werkes, seine Lesbarkeit wieder herzustellen und damit eine Rezeption überhaupt wieder zu ermöglichen.
Die kunstwissenschaftliche Einordnung, nicht als „Baudekoration“, sondern als singuläres schöpferisches Werk Schievelbeins, verbot die Neuschöpfung verlorener Figuren und Figurenteile ebenso wie das spekulative Schließen der zahlreichen großen Fehlstellen. Neben der restauratorischen Sicherung des Reliefs war die Erzielung einer ästhetisch und konservierungsethisch vertretbaren Präsentationsform für das größte Einzelkunstwerk im Neuen Museum die zentrale Aufgabe. In kontinuierlicher Abstimmung und Auseinandersetzung mit dem seit 1998 mit dem Wiederaufbau des Neuen Museums betrauten Büro David Chipperfield Architects, den Denkmalbehörden und zahlreichen Gremien wurde ein Konzept umgesetzt, das für den Schievelbeinfries ebenso wie für das gesamte Bauwerk den weitgehenden Erhalt aller originalen Substanz sowie größtmögliche Zurückhaltung bei der Ausführung von Hinzufügungen vorsah. Der uneinheitliche Schädigungsgrad ließ den Schievelbeinfries auch nach der Restaurierung insgesamt äußerst inhomogen erscheinen.
Zudem kontrastierte die erhaltene, aber stark vergraute Farbfassung mit den zahlreichen Fehlbereichen, in denen der fast weiße originale Antragmörtel in Erscheinung trat, sowie mit den neueren Ergänzungen. Nach Beendigung aller Maßnahmen zur Konservierung und Konsolidierung erfolgte der vollflächige Auftrag einer semi-transparenten, cremeweißen Kalktünche, der zu einer deutlichen Harmonisierung des Gesamterscheinungsbildes und damit zu einer wesentlich besseren Lesbarkeit des Bildprogramms führte.
Durch den Verzicht auf die Rekonstruktion verlorener Partien bleibt die Geschichte des Werkes mit den zahlreichen Beschädigungen und Verlusten sichtbar. Heute ist der Relieffries gleichermaßen als autonomes Einzelkunstwerk wie auch als wesenhafter Bestandteil des wiederhergestellten Griechischen Hofs wieder erlebbar. Und vielleicht kann das Chaos der Zerstörung, das sich durch die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs und der Ruinenzeit tief in das Relief eingeschrieben hat, dem Besucher eine zusätzliche Bedeutungsebene eröffnen. Der dargestellten Vernichtung der blühenden Stadt durch die Mächte der Natur hat sich die reale Verwüstung des Bildwerks durch den menschengemachten Krieg zugesellt und bleibt ebenso ablesbar.